Lebensbedrohliche Erkrankung des Schuldners
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(ip/RVR) Die Fortführung eines Zwangsversteigerungsverfahrens im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung des Schuldners war Gegenstand eines der aktuellen Beschlüsse des Bundesgerichtshofes (BGH).
Das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – ordnete die Zwangsversteigerung eines Teileigentums der Schuldner an. Nach einem ersten Versteigerungstermin, in dem kein ausreichend hohes Gebot abgegeben wurde, bestimmte es einen neuen Versteigerungstermin. Die Schuldner beantragten, das Verfahren nach § 765a ZPO, § 30a ZVG einzustellen. Das Vollstreckungsgericht führte den Termin durch und erteilte den Erstehern den Zuschlag. Den Einstellungsantrag der Schuldner wies es zurück. Dagegen legten die Schuldner sofortige Beschwerde ein. Diese begründeten sie damit, dass es mutwillig sei, wenn die Gläubigerin kurz vor einer chemotherapeutischen Behandlung der Leukämieerkrankung des Schuldners die Zwangsvollstreckung betreibe und damit das Gelingen der Therapie und das Leben des Schuldners gefährde.
Das Vollstreckungsgericht half der Beschwerde nicht ab.
Das Landgericht wies sie nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens der den Schuldner behandelnden Ärzte zurück.
Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde streben die Schuldner die Aufhebung der Zwangsversteigerung an.
Die Gläubigerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Der BGH entschied, dass die nach § 96 ZVG i.V.m. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Schuldner gegen die Zurückweisung des Aufhebungsantrags und gegen den erteilten Zuschlag begründet ist.
Die Schuldner stützen die Beschwerde gegen den Zuschlag im Rechtsbeschwerdeverfahren darauf, dass der beantragte Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO nicht habe zurückgewiesen werden dürfen. Dieser kann, so der BGH, den Schuldnern nicht mit der von dem Beschwerdegericht gegebenen Begründung versagt werden. Dies begründete der BGH unter anderem damit, dass das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit die Vollstreckungsgerichte dazu verpflichtet, das Verfahren so durchzuführen, dass den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten Genüge getan wird. „Kann das Leben des Schuldners durch eine Vollstreckungsmaßnahme in Gefahr geraten, weil dieser unfähig ist, aus eigener Kraft oder mit zumutbarer fremder Hilfe die Konfliktsituation situationsangemessen zu bewältigen, muss das Vollstreckungsgericht diesen Umstand beachten und ihm bei der Durchführung des Verfahrens Rechnung tragen (Senat, Beschlüsse vom 7. Oktober 2010 - V ZB 82/10, NJW-RR 2011, 421, 422 Rn. 26).“ Dies gilt auch im vorliegenden Fall.
Das Beschwerdegericht wurde den oben aufgeführten Anforderungen im Ergebnis nicht gerecht. Es hat die Gefährdung des Behandlungserfolgs dem allgemeinen Lebensrisiko des Schuldners zugeordnet und die Auffassung vertreten, dieser Gesichtspunkt könne eine Einstellung oder Aufhebung der Zwangsvollstreckung von vornherein nicht rechtfertigen. Diese Beurteilung wird dem verfassungsrechtlichen Gebot des Lebensschutzes jedoch nicht gerecht. Eine lebensbedrohliche Erkrankung, so der BGH, trifft den Schuldner zwar schicksalhaft. „Dass ihre erfolgreiche Behandlung durch ein Zwangsversteigerungsverfahren ernsthaft gefährdet oder verhindert wird, lässt sich aber durch eine entsprechende Verfahrensgestaltung vermeiden.“ In solch einem Fall hat das Vollstreckungsgericht die Maßnahmen zu ergreifen, die unter angemessener Berücksichtigung der Interessen des Gläubigers möglich sind, und beispielsweise das Zwangsversteigerungsverfahren vorübergehend einzustellen. Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen.
Folglich ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Die Aussetzung der Vollstreckung ist bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts gemäß §§ 575 Abs. 5, 570 Abs. 3 ZPO auszusprechen.
Der Leitsatz fasst zusammen:
„Das Vollstreckungsgericht muss bei der Durchführung des Zwangsversteigerungsverfahrens unter Abwägung der Interessen der Beteiligten dem Umstand Rechnung tragen, dass die Fortführung des Zwangsversteigerungsverfahrens den Erfolg der Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung des Schuldners gefährdet.“
Das Original-Urteil kann hier abgerufen werden:
BGH vom 21.07.2011, Az.: V ZB 48/10
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